Natürlich strebt im Nationalpark Iguazú jeder Schritt, den man tut, den Wasserfällen zu. Dennoch sollte man hier den Weg zum Ziel machen. Das große Wasser kommt ohnehin – man hört es von Beginn an. Wir geben uns genussvoll dem engen Blick hin, den der Dschungel uns gewährt: Rauf und runter, rückwärts, seitwärts, hinein und hinaus – man könnte schwindlig werden.
Dichter Urwald fasst die Kaskadenfront ein, beleuchtet einzig von Schmetterlingen, denn die Farbenpracht von Blumen fehlt dem Halbdunkel.
Auf dem Passeo Inferior gelangen wir zu einer Kette von Wasserfällen. Sie tragen Namen, die ihrem Erscheinungsbild entsprechen: Salto dos Hermanas (Fall der zwei Schwestern), Salto Chico (Jungchen – heute ein kleines Rinnsal), Salto Bosetti (weiß und ruhig), Salto Adán y Eva (letzterer sanft und freundlich). Für die nächsten stehen bedeutungsvollen Persönlichkeiten Pate: Salto Bernabé Méndez, Salto Mbiguá und Salto San-Martín (ein quirliger Schwall, als wäre jemandem der Wasserschlauch ausgekommen).
Überall, wo sich Touristen stärken, treiben sich vorwitzige Nasenbären herum. Obwohl Parkwächter vor den bissigen Kerlen warnen und auf das Fütterungsverbot achten, finden diese immer wieder eine Möglichkeit, sich etwas von den Tischen oder aus den Rucksäcken zu schnappen. Dass auch in Zukunft hier niemand auf den Spaß mit den Nasenbären verzichten muss, zeigt die Hundertschaft an Jungs und Mädels aller Altersklassen, die von ihren Eltern von Kindesbeinen an lernt, dass die einzige Daseinsberechtigung von Menschen in ihrem Territorium diejenige ist, diese zu beklauen.
Zu Mittag ist es im Park brütend heiß. Glücklicherweise gibt es den Tren Ecológico de la Selva, der uns zum Beginn der Stege zur Abbruchkante des Garganta del Diablo bringt. Schon von weitem ist die Donnerstimme des Teufelsschlundes zu vernehmen. Während wir bequem über den zu einem stillen See geweiteten Fluss schreiten, vorbei an seinen friedlichen Inseln mit prächtigen Vögeln, können wie uns kaum vorstellen, welche Gewalt das Wasser wenige Meter vor uns entfalten wird.
Eine mächtige Dunstwolke kündigt die U-förmige, 150 Meter breite und 700 Meter lange Abbruchkante an. Wer zählt den Tropfen, wer die Momente des Hochgefühls angesichts solcher Naturgewalt? Im mächtigsten Wasserfall der Erde stürzen auf einer Länge von 2,7 Kilometern bis zu 20.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Tiefe. Nur Afrikas Victoriafälle sind höher, aber um einiges schmäler. Die Niagarafälle Nordamerikas können in einem Vergleich mit den 20 großen und 255 kleineren Wasserfällen von Iguazú auch nicht mithalten.
Von der brasilianischen Seite aus sieht man die Iguazu-Wasserfälle auf einen Blick. Es zahlt sich also aus, die Warterei an der Grenze in Kauf zu nehmen und der Kaskade noch einmal die Aufwartung zu machen, zumindest glauben wir das. Bald stellt sich heraus, dass hier alles anders ist. Mondän die Anlage, hohes Preisniveau, statt Dschungel ein parkähnliches Gelände, kaum Tiere dafür umso mehr irrsinnige Touristen, die nichts anderes im Sinn haben, als mit hunderten Selfiefotos rasch wieder nach Hause zu kommen. Von nun an gibt es kein Entkommen mehr, denn einmal in das Geschiebe eingereiht, muss man mit. Verschwitzte Leiber reiben aneinander, Ellbogen stoßen und Smartphones verdecken die Sicht auf die Kaskade.
Wir fragen uns, ob einer der Drängler den Wasserfall wirklich wahrnimmt.
Am Ausgang des Parks angelangt, beginnt es unvermittelt zu schütten. Die geöffneten Schleusen stellen rauschend klar, woher das Wasser der Kaskade kommt. Es ist ein Geschenk des Himmels.
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