Freitag, 29. November 2019

Atacama

Innerhalb einer Stunde überwindet unser Minibus mehr als 2000 Höhenmeter, ehe wir die Grenzstation zwischen Chile und Bolivien erreichen (4680 m ü.N.). Hier verstaut Oscar, unser Fahrer und Guide, das schwere Gepäck, sowie 6 Liter Wasser pro Tour-Teilnehmer auf dem Dach seines Jeep-4WD-Fahrzeugs. Wir zwängen uns zu siebent in das schon in die Jahre gekommene Gefährt und los geht es hinein in den Altiplano.


 

Oscar beschallt uns von Beginn an mit schmelzenden, bolivianischen Gesängen und Panflötenklängen aus dem Radio und erweist sich als versierter Fahrer. Dennoch, von nun an müssen sich unsere Glieder auf ein wildes Gehopse über Pisten aus Schotter, Sand und Querrillen einstellen.


Bald entdecken wir in der beeindruckenden Landschaft, am Fuße des 5920 Meter hohen Vulkans Licancabur die ersten scheuen Vicuñas. Das Wasser der Laguna Colorada enthält Mikroorganismen, die es in allen möglichen Farben schillern lassen. Der See ist bevölkert von mehr als 30.000 Flamingos.





Die Laute der Tiere dringen zu uns herauf, sonst herrscht Stille. Wir erfahren, dass die robusten Flamingos 10 Jahre alt werden können und nur im Sommer so zahlreich an der Lagune anzutreffen sind. In der kälteren Jahreszeit kann es vorkommen, dass die eleganten Vögel über Nacht einfrieren, was für viele den Tod bedeutet. Die meisten von ihnen aber warten auf die Morgensonne, um dann in tiefere Lagen zu fliegen.  




Die Wüstenlandschaft ist extrem beeindruckend und mit Worten kaum zu beschreiben. Stellenweise türmt sich vulkanisches Eruptionsmaterial zu meterhohen, skurrilen Formen, die das Werk des stetig wehenden Windes und der extremen Tagesschwankungen der Temperatur sind.



Die schönen Augenblicke während unserer viertägigen Wüstentour wollen verdient sein. In unterschiedlicher Intensität spüren wir die Auswirkungen der berüchtigten Soroche, der Mal de Montana, wie sie hier auch genannt wird. Am dritten Tag aber haben sich unsere Körper der Höhe angepasst, sodass wir den Salar de Uyuni unbeschwert genießen können.
Bei Sonnenaufgang stehen wir in der Mitte des Naturwunders, das mit mehr als 10.582 Quadratkilometern die größte Salzpfanne der Erde darstellt. Die unter der Oberfläche liegende Sole reicht bis 120 Meter in die Tiefe und entstand durch das Austrocknen eines urzeitlichen Sees. Der Salar misst an der längsten Stelle 180, an der breitesten Stelle 120 Kilometer.


Unsere Reisekollegen haben Minidinosaurier, ein Stofflama und einen Plastikpinguin als Modell für ein Fotoshooting der etwas anderen Art mitgebracht. Wir hingegen improvisieren mit dem, was unser Rucksack an Requisiten hergibt.




Nach der Fotosession sehen wir wie Salzmonster aus. Unsere Kleidung ist zum Vergessen, die Kameras haben es glücklicherweise ohne sichtbare Schäden überstanden.


Auf dem Salar warten noch weitere Überraschungen auf uns. Inmitten der Salzpfanne liegt die Isla Incahuasi.



Die Insel ist über und über bedeckt von viele Meter hohen Säulenkakteen, die teilweise mehr als 1200 Jahre alt sein sollen.


Ein Salzmonument, das an die Dakar-Ralley vor drei Jahren erinnert.


Der Cementerio des Trenes nahe der Wüstenstadt Uyuni.


Auf dem Friedhof der Züge rosten an die fünfzig altertümliche Dampflokomotiven und Waggons ihrer vollständigen Auflösung entgegen und geben Zeugnis von der Eisenbahngeschichte Boliviens.

Der letzte Tag unserer Tour führt 500 Kilometer durch unwegsames Gelände. Stellenweise verliert sich unsere Piste im Sand und unser Fahrer sucht sich seinen Weg, bis er irgendwo wieder auf etwas Ähnliches wie Reifenspuren stößt. Die Grasbüschel sind zu Seeigeln gleichenden Zwergen geworden, zuletzt geben sie ganz auf. Unser Navi zeigt 4982 Höhenmeter an! 




Donnerstag, 21. November 2019

Valparaiso


Valparaiso – das Paradiestal? Der Name klingt wie ein Versprechen, wenngleich er auf eher prosaische Weise zustande kam. Ein Konquistador benannte die Bucht nach seinem andalusischen Heimatdorf. 1541 von Spaniern gegründet, war die Stadt jahrhundertelang geschäftiger Hafen Santiagos.


Pablo Neruda meinte einmal, wer alle Treppen Valparaisos begangen habe, sei um die Welt gereist. Unklar bleibt, ob er sich auf die zurückgelegte Streckenlänge bezog oder auf das Kosmopolitische der auf 47 Hügeln liegenden Stadt. Jeder der Viertel hat seinen eigenen Charakter: Italienische, deutsche und englische Elemente finden sich in der Architektur der unterschiedlichen Stadtteile. Russische Schiffe liegen im Hafen. Den Aufstieg auf die Cerros erleichtern zahlreiche ascensores, Aufzüge, Kabinen- oder Seilbahnen.


Wunderschön sind die fantasievollen Bemalungen der Hausfronten, die auf diese Weise ihre teilweise ärmliche Bausubstanz durch Fantasie wettmachen. Wahre Kunstwerke finden sich da auf den Wellblechwänden und krummen Steinmauern. Auch Straßeneinfassungen sind verziert. Wir spazieren durch eine wahre Explosion an Gestaltungsfreude und Kreativität, die uns ebenso beeindruckt wie die unglaublichen Ausblicke.




In Valparaiso kann man auf den Spuren von Chiles Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda wandeln. Hoch über der Stadt, auf dem Cerro Florida liegt Nerudas Wohnhaus „La Sebastiana“. Regelmäßig empfing Neruda Gäste und verriet ihnen, welche voyeuristischen  Geheimnisse ihm sein Teleskop offenbarte.


Sein Sommerdomizil hatte Neruda in dem etwa 50 Kilometer südlich gelegenen Dorf Isla Negra. Dieses befindet sich in herrlicher Lage, oberhalb einer kleinen Bucht mit rund geschliffenen Basaltfelsen und ist einem Schiffskörper nachempfunden. 



Nerudas Sammlerleidenschaft kannte keine Grenzen und so wirken seine Häuser wie der exquisite Spielplatz eines Mannes, der ewig Kind blieb. Als Liebhaber des Meeres und aller maritimer Dinge gestaltete er sein Ferienhaus mit niedrigen Decken, knarrendem Holzboden und engen Gängen. Auf diese Weise verschaffte er sich den Eindruck, in einem Schiff zu wohnen. Weil er das Meer zu sehr fürchtete, um es zu bereisen, holte er es auf diese Weise zu sich ins Haus.



Das Meer blüht das ganze Jahr. Seine Rose ist weiß.
Seine Blütenblätter sind Salzsterne.
 

Pablo Neruda

Cajon del Maipo




Der Cajon Maipo ist eines der beliebtesten Naherholungsgebiete der Städter. Mit seiner klaren Luft bietet das tief eingeschnittene Tal des Rio Maipo am Fuße der Andenkordillere eine willkommene Abwechslung. Hellgelb blühende, übermannshohe Kandelaber-Kakteen schmücken das Ufer des rotbraunen Flusses, den man in der rostroten Landschaft stellenweise förmlich suchen muss.



Die chilenische Iguana soll bis zu 50 cm Länge erreichen. Unsere misst etwa 30 cm.


Weil die Szenerie immer beeindruckender wird, wagen wir uns weiter in das Tal des Vulkans Maipo vor, auch als sich die freundliche Asphaltstraße erst in einen steilen Schotterweg, später in eine abenteuerliche Piste voller Querrillen, Schlaglöcher und kantigem Geröll verwandelt. Im Blick nach vorne verschwindet der Weg in steilen Geröllhalden aus vulkanischem Auswurfsmaterial. Wir können es gar nicht glauben, dass es dennoch immer wieder irgendwie weitergeht. Längst blecken um uns die Fünftausender ihre weißen Zähne.



Am Ende des befahrbaren Teiles des Tales wartet als Belohnung das Refugio Lo Valdes in einer Seehöhe von 2500 Metern.Wir beobachten amüsiert das Treiben in den Sinterbecken der Termas Valle de Colina.


Santiago de Chile


Santiago kommt im Sommer einem Backofen gleich. Zwischen hoch aufragenden Gebirgsketten gelegen, fehlt der Metropole die dringend notwendige Kühlung. Jeglicher  Luftaustausch ist unterbunden. Vom Balkon unseres Appartements aus blicken wir in Richtung Aconcagua (6961 Meter).


Seit Wochen befinden sich das gesamte Land und im Besonderen die Haupstadt wegen der sozialen Unruhen im Ausnahmezustand. Die Glasscheiben der Geschäfte sind mit Blech oder Spannplatten zugenagelt, lediglich mannshohe, schmale Eingangsschlitze werden freigelassen, um den Verkauf am Laufen zu halten und dennoch sofort abriegeln zu können, sobald die Aufstände wieder losgehen. Da und dort sehen wir zerschmolzene Mistkübel, heruntergerissene Stromleitungen, zerschlagene oder abgefackelte Ampelanlagen, etliche U-Bahnstationen sind aus Sicherheitsgründen geschlossen.


Atemschutz nur für den Fall der Fälle (die Polizei verwendet Tränengas, um die Demonstrationen aufzulösen).


Vorerst ist alles friedlich. Wir spazieren den Paseo Ahumada entlang, lassen uns vom Geschiebe der Menschen tragen und umklammern etwas verunsichert unsere Fotoapparate. Die Plaza de Armas ist ein weiter, viereckiger Platz mit prächtigen Blauglockenbäumen, herrschaftlichen Häusern aus der Gründerzeit, einem Standbild des Stadtgründers Pedro de Valdivia, sowie eines indianischen Hauptes, das eine Allegorie auf die indigenen Völker Chiles darstellen soll. 



Streetart in Bellavista


Am Nachmittag geraten wir in den Sog von Demonstranten, die sich in Richtung Plaza Baquedano bewegen. Brennende Straßenbarrikaden und beißender Rauch in der Luft versperren uns den Weg. Fasziniert werden wir Zeugen eines politischen Umbruchs und können nicht anders, als das wüste Treiben um uns fotografisch festzuhalten.



Die mehrheitlich jungen Demonstranten verhalten sich uns gegenüber erstaunlich friedlich, in der Stadt aber legen sie eine Spur der Verwüstung. Denkmäler im Regierungs- und Bankenviertel der Innenstadt erregen den Zorn der Masse, werden gestürmt und wüst beschmiert. Schlussendlich sind wir erleichtert, die bedrohliche Szenerie hinter uns zu lassen. Während wir in sichere Gassen abbiegen, vernehmen wir das vielstimmige Dröhnen von Polizeisirenen hinter uns.


Das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos dokumentiert auf eindrucksvolle Weise die Menschenrechtsverletzungen während Pinochets Gewaltherrschaft. In einer Halle, die sich, nach oben offen, über drei Stockwerke erstreckt, zeigt eine Installation hunderte von Fotografien der Opfer der Diktatur.