Unterwegs im Parque Nacional Torres del Paine
Auf der landschaftlich reizvollen Fahrt sichten wir Schopfkarakaras und Schwarzbrustadler, Vögel von beeindruckender Größe mit erfreulich wenig Respekt vor uns. Mispel, Pan del Indio (gelblich runde Baumpilze) und Bartflechten wachsen auf den von Wind, Sonne und Nässe lädierten Bäumen, die als Ensemble stellenweise aussehen wie ein Bonsaigarten.
Bald sind es die Berge, die unsere Blicke auf sich ziehen. Aus Sorge, sie könnten sich verhüllen, nützen wir bei unserer Annäherung jeden Stopp, um sie fotografisch festzuhalten. Ein schlechter Ruf eilt den Torres del Paine voraus. Wem sie sich zeigen, gewähren sie oft nur eine kurze Audienz, ehe sie sich wieder in Wolken hüllen. Ihre Zinnen bilden für die über dem Südozean jagenden Westwinde das erste Hindernis nach Neuseeland. In sich verdreht, in Schnee wie Puderzucker getunkt sind die Granitsäulen der Cuernos del Paine von beeindruckender Schönheit.
Die Flüsse transportieren die Gletschermilch in die zahlreichen Seen des Nationalparks und verleihen diesen das charakteristische Türkisgrün.
Guanakos, an Besucher gewöhnt, haben die Scheu vor Menschen abgelegt.
Über Nacht hat es aufgeklart. Sonne und vielstimmiger Vogelgesang wecken uns und der Blick aus unserem kleinen Fenster im Alkoven zeigt die von Morgennebeln umwölkten Torres del Paine, nach denen der Park benannt ist. Sie sind das vielversprechende Ziel unserer heutigen Wanderung.
Vorerst aber lassen wir uns noch von einer orangebauchigen, langschwänzigen Wiesenlerche bezaubern, die ihr Spiegelbild in der Windschutzscheibe eines neben uns abgestellten Autos entdeckt hat und dieses offensichtlich für einen Rivalen oder eine potentielle Angebetete hält. Wie wild begehrt der Vogel Einlass, bearbeitet Türschnallen und Gummidichtungen. Offensichtlich verfolgt er sein Vorhaben bereits seit geraumer Zeit und findet die Aussichtslosigkeit seines Tuns beschissen, denn das Fahrzeug ist bereits über und über mit Kot bedeckt.
Am Beginn der Wanderung geht es durch Margeritenwiesen bis zum Einstieg in das Hochtal, dessen wildschäumender Bach uns den Weg weist. Wohin das Auge blickt, blüht es. Bäume, Sträucher und stachelige Polsterpflanzen erinnern an die Macchie. Später führt der Weg durch einen verwunschen wirkenden Südbuchenwald und zuletzt über eine 350 Meter hohe Steilstufe hinauf zum Base de las Torres.
Die Tiefblicke, die sich uns bieten, sind mit Worten nicht zu beschreiben. Nach viereinhalb Stunden Anmarsch muss ich schon einen recht erschöpften Eindruck machen, denn einige der entgegenkommenden Wanderer muntern mich auf. „You are doing good work!“ und „It´s a miracle! Worth to do it!” vernehme ich. Am Ziel angelangt, gebe ich ihnen Recht. Drei spiegelglatte, weiße Granitzinnen erheben sich aus einem schwarz-weiß gestreiften Bassin, in dem ein türkisgrüner See die Wände spiegelt. Trotz des Wirbels am Ufer überträgt sich die majestätische Ausstrahlung des Ortes auf jeden. Ein Mann, der offensichtlich ebenso erschöpft ist wie ich, ruft laut: „If I die on this place, it´s ok!“
Die sandfarbene Meseta mit ihren dunklen Seenaugen unter dem bleifarbenen Himmel bildet den ultimativen Kontrast zu unserm gestrigen Erlebnis. Im Niemandsland zwischen der chilenischen und argentinischen Grenze queren vor unserem Auto an die Tausend frisch geschorene Schafe die Straße. Die berittenen Hirten in ihren Ponchos grüßen freundlich herüber, als wir unser Fahrzeug langsam durch die, sich wie eine einzige Masse bewegenden, Tierkörper navigieren; stolzes Lachen in dunklen, baskenbemützten Gesichtern.
Wir halten uns auf der Ruta 40 in Richtung Norden. Ein abenteuerlicher Ruf haftet dieser längsten aller argentinischen Straße an. Sie verbindet Gletscher, Vulkane und leuchtende Seen. Dabei führt sie durch Regionen, in denen man eher Guanakos, Straußen oder Raubvögeln begegnet als Menschen.
Suchbild
Richtig ! Ein Darwin-Nandu mit Küken, gut getarnt die Kleinen, auffallend der Große. Während das Muttertier mit seinem Nachwuchs in elegantem Galopp das Weite sucht, bauscht der Wind das prachtvolle Gefieder. 50 km/h erreicht ein ausgewachsener Nandu. Selbst die Küken düsen ab wie „Pfitschipfeile“. Wenig weiter erzählen die bleichen Knochen eines verendeten Tiers ihre Geschichte. War es ein Puma, der seine Beute in die windgeschützte Senke schleppte, um sie dort in Ruhe zu verzehren oder entdeckte einer der Adler das Aas, für das sich der König der Lüfte nicht zu fein ist?
Am Lago Argentino erreichen wir El Calafate, ein Städtchen, das sich stolz den Beinamen Welthauptstadt der Gletscher gibt. Vorerst erblicken wir nur sanfte Hügel und den See, in dessen Fläche der Bodensee zweimal hineinpasst. In der Reserva Laguna Nimez führt ein 2,5 km langer Lehrpfad durch ein Vogelschutzgebiet.
Die Region Los Glacieres wurde bereits im Jahre 1937 zum Nationalpark erklärt und gehört seit 1981 zum UNESCO-Weltnaturerbe. Sie ist das größte Schutzgebiet Argentiniens. Zwei Drittel des Parks dienen der Forschung, ein Drittel wird mit Auflagen touristisch genutzt. Der Perito Moreno gehört zum Campo de Hielo Sur, dem drittgrößten zusammenhängenden Eispanzer der Erde und ist einer der 48 Hauptgletscher, die sich von ihm in die Täler wälzen.
Wenngleich wir bereits viele Abbildungen dieser Gletscherschönheit gesehen haben, ist die Begegnung mit ihr eine völlig neue Erfahrung. Die in Grau-, Weiß und Blautönen schillernde Abbruchkante ist 40 bis 70 Meter hoch und misst in ihrer Breite 4 bis 5 Kilometer. Der Koloss aus Eis streckt uns seine zerrissene Zunge entgegen, die aus hochhausgroßen Eisnadeln und abgrundtiefen Schluchten besteht. Mit donnergrollender Stimme verschafft er sich Gehör, sendet Pistolenschüsse der Druckentlastung in den Himmel und speit das Eis, das er nicht halten kann, wütend in das Wasser des Sees.
Punta Bandera um 8 Uhr Früh: mehr als hundert Touristen drängeln sich im Hafenbüro vor den Kassen zweier Touranbieter. Offenbar sind wir hier richtig für die Fahrt zu den Gletschern Upsala und Spagazzini. Unser Katamaran ist bis auf den letzten Platz ausgebucht.
Der riesige Lago Argentino streckt seine Nebenseen wie Krakenarme in das Land. Etwa eine Stunde geht es durch den Brazo Norte und Brazo Upsala, wo uns die ersten Eisberge entgegenkommen. Zuerst sind sie klein, hübsch anzusehen und natürlich werden alle fotografiert. Aber die Steigerung ist enorm. Aus den zierlichen Eisschiffchen werden Hochseekreuzer und schließlich tiefblaue Ungetüme in fantastischen Farbschattierungen und Formen. Der geringe Tiefgang unseres Katamarans ermöglicht es dem Kapitän, nahe an die Eisberge heranzusteuern. Einer der Passagiere pfeift den Titelsong der Titanic und grinst voll Galgenhumor. Ein Liebespärchen lehnt sich an der Spitze des Bugs mit weit ausgebreiteten Armen über die Reling.
Der Upsala-Gletscher ist 60 km lang, was fünfmal der Länge des Aletschgletschers entspricht. Er fließt mit einer Geschwindigkeit von 10 Metern pro Tag ins Tal und kalbt in beängstigendem Ausmaß. Von den über 150 Gletschern Argentiniens bleiben nur 4 in ihrer Größe konstant. Einer von ihnen ist der Glacier Spagazzini.
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